700 Jahre Neuwedell
Sahen so die drei Wedel-Brüder aus, als sie mit Ihrem Tross im Osten ankamen?
Elzbieta Lipinska, freie Journalistin aus Arnswalde, schreibt am 19.11.2013 zum Artikel, den wir unter „Aktuelles“ vorstellen: „Das ist der Text, den ich an den ‘Kurier Szczecinski’ geschickt habe. Ich habe die Zeitung nicht gekauft, aber der
Bericht ist sicher an einem Dienstag im Oktober erschienen, vielleicht mit anderem Titel, aber vermutlich ungekürzt”.
700 Jahre Neuwedell
Wissenschaftler und Geschichtsliebhaber schreiben die Ortsgeschichte fort
Neuwedell. Das kleine, kaum 3000 Einwohner zählende Neuwedell (Drawno) feierte seinen 700. Geburtstag. Aus diesem Anlaß fand seit Jahresbeginn ein Veranstaltungszyklus statt. Krönender Abschluß war eine internationale, populär-wissenschaftliche Tagung im Kino „Wedel” unter dem Patronat des Instituts für Geschichte und internationale Beziehungen der Universität Stettin und der Regionalen Historischen Gesellschaft des Arnswalder Landes (RHGA).
Zwei Jahre Vorbereitung
Versammelt waren Fachhistoriker und Liebhaber von Geschichte und Gegenwart Neuwedells aus Polen und Deutschland. – Zwei Jahre haben wir dafür gearbeitet. Es ist uns gelungen, die Familie v.Wedel einzuladen, die sich um die Entwicklung von Neuwedell verdient gemacht hat, und bedeutende Historiker wie Prof. Edward Rymar und Dr. Slawomir Slowinski vom Stettiner Nationalmuseum. Ich freue mich, daß unsere Arbeit nicht vergeblich war. „Ohne die Unterstützung der Neuwedeller Stadtverwaltung wäre uns das kaum gelungen,“ so Dr. Grzegorz Jacek Brzustowicz von der RHGA, der zusammen mit dem Bürgermeister Andrzej Chmielewski, dem Neuwedeller Stadtrat und seinem Bruder Bogdan Wojciech Brzustowicz (Vorsitzender der RHGA und stellvertretender Landrat des Kreises Arnswalde) die Veranstaltung organisiert hatte.
Die Brüder Brzustowicz sind Autoren vieler Bücher und die wichtigsten hiesigen Regionalhistoriker. – Mit Neuwedell befassen sich nur wenige; und auf der Tagung sind neue Themen vorgestellt worden, sagt ein Fachmann. Als besonders wertvoll erwiesen sich die Forschungen von Oberstleutnant Andrzej Szutowicz, der einige Jahre in Neuwedell gelebt hatte und wichtige Erkenntnisse über die Stadtgeschichte zwischen 1933 und 1947 vorstellte. Tagungsbegleitend wurde das Heft „Drawno-Neuwedel. Studia i materiały z historii miasta i szlachty nowomarchijsko-pomorskiej [Untersuchungen und
Materialien zur Geschichte der Stadt und des neumärkisch-pommerschen Adels]” herausgegeben, auch ein Tagungsband ist geplant. Die Geschichte der Stadt ist vielfältig, wie die breite Thematik der Vorträge zwischen Mittelalter und Gegenwart illustriert.
Geschichtlicher Abriss – Von der Frühgeschichte Neuwedells bis zur Gegenwart
Über das mittelalterliche Neuwedell sprach Karolina Bucka von der Universität Stettin, eine frühere Schülerin von G. J. Brzustowicz. Die Architektin Tatiana Balcerzak stellte Ergebnisse von Grabungen auf dem Burghügel vor und Vermutungen über das frühere Aussehen der mittelalterlichen Burg. Die Brüder Brzustowicz befaßten sich mit der Geschichte der
Familie v. Wedel-Neuwedell im Zeitraum 1433/37 und während des Dreißigjährigen Krieges.
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Polen und Deutsche
Auch die Familie v. Wedel stellte historisches Material vor. Nicht verschwiegen wurden Informationen über die nationalsozialistische Vergangenheit einiger Familienmitglieder, die Dr. Wolf Christian v. Wedel-Parlow vorstellte. 78 pommersche Wedel waren der NSDAP beigetreten; es handelte sich dabei aber um eine im Verhältnis zur Gesamtfamilie kleine Gruppe. Einen Überblick über die Familiengeschichte gab Dr. Vita v. Wedel aus Hamburg, deren Familie aus Zülzefitz bei Labes stammt. Sie ist eine hervorragende Kennerin der Familiengeschichte und besuchte Neuwedell zum wiederholten Mal, seit sie 1991 erstmals in Westpommern war. Sie fühlt sich der Region eng verbunden, von der sie in ihrer Kindheit in Erzählungen von Großeltern und Eltern gehört hat. Ich habe dadurch, so die Kunsthistorikern aus Hamburg, verstanden, wie sehr diese der Verlust ihrer Heimat geschmerzt hat. Besonders schwer war es an Weihnachten. Ihre Verwandten
konnten nur wenige Familiengegenstände retten, und die hatten für sie besonderen Wert, wie ihre Erinnerungen. Heute
vermitteln die Wedel ihre Geschichte und die Geschichte der Orte, in denen ihre Vorfahren lebten, der kommenden Generation.
Neuere Geschichte – Übergangszeit und Anknüpfung nach dem zweiten Weltkrieg
Viele Jahre lang konnten wir unsere Heimat nicht besuchen. Als ich zum ersten Mal hierherkam, war ich der Gegend fasziniert. Wir hatten damals in Borowiec/Grünhof [bei Neuwedell] haltgemacht, sagt Friederike v. Buddenbrock, die fünfzig
Jahre nach Kriegsende zum ersten Mal Neuwedell besuchte. Als sie mit ihrer Mutter auf der Terrasse ausruhte, sah sie eine Gruppe von Polen, die in der Nähe grillten. – Das war ein sehr schöner Abend, der versöhnlichste Abend, den meine
Mutter erlebt hat. Schon im Jahr 2000 wurden Mutter und Tochter zu einer deutsch-polnischen Hochzeit einer Freundin der Mutter in Bärwalde/Mieczkowice eingeladen. Dort heiratete eine 70-jährige Deutsche einen früheren polnischen Soldaten,
der sie 1945 vor dem Abtransport in die Sowjetunion gerettet hatte. Sie hatten einander erst sehr viel später wiedergetroffen und beschlossen, ihr weiteres Leben miteinander zu verbringen. Die Vorfahren von Friederike v. Buddenbrock stammen aus dem unweit gelegenen Nemischhof, wo sich heute ein Schulungs- und Erziehungszentrum befindet. Sie selbst unterstützt seit Jahren die im Haus ihrer Vorfahren lebenden behinderten Kinder.
Drawno: heute Landschaftspark und Luftkurort
Auch wenn man niemanden davon überzeugen muß, wie schön die Umgebung von Neuwedell ist, war doch genau dies Gegenstand eines Vortrags des Direktors des Neuwedeller Nationalparks Dr. Paweł Bilski. – Unbekannt war bisher, daß Neuwedell im 19. Jahrhundert Kurort war. Der Bürgermeister Andrzej Chmielewski hatte davon erfahren und Historiker um Aufklärung gebeten. Bekannt ist hingegen, daß es in Neuwedell eine Fabrik für keramische Gartenzwerge und Märchenfiguren gab.
Elżbieta LIPIŃSKA